Ein Ziel vereint alle Anleger: erst unterbewertete Wertpapiere kaufen und später dann mit möglichst hohem Gewinn wieder abstoßen.
Doch welche Aktien bieten Ihnen ein solches Potenzial und realistische Chancen? Für einen Anleger ist dies fast nie auf den ersten und auch nicht auf den zweiten Blick zu erkennen.
Die Suche nach den richtigen Aktien gestaltet sich aufgrund der Marktkomplexität äußerst schwierig. Der Einsatz von Kennziffern bzw. -zahlen bringt Licht ins Dunkel. Gerade das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) genießt einen ausgezeichneten Ruf als Bewertungsparameter. Neben dem KGV greifen Anleger zudem auf das Kurs-Buchwert-Verhältnis sowie das Kurs-Umsatz-Verhältnis zurück. Aber Vorsicht, es ist nicht alles Gold, was glänzt.
Diese drei wichtigen Kennziffern weisen sowohl Vorteile als auch Nachteile auf. Zudem darf gerade das KGV nicht losgelöst von wirtschaftspolitischen und anderen Komponenten betrachtet werden. Daher lässt sich die Aussagekraft nicht pauschalisieren, sondern in manchen Fällen lediglich als Indiz interpretieren. Wir haben für Sie die Stärken und Schwächen der drei Kennziffern untersucht.
Um herauszufinden, welches Wertpapier besonders günstig und welche Aktie derzeit überbewertet ist, können Sie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (englisch Price/Earnings-Ratio oder in Kurzform P/E-Ratio) zurate ziehen. Der Wert dieser beim Trading viel genutzten Kennziffer ergibt sich durch eine an sich simple Rechnung: Der jeweilige Kurs wird durch den Reingewinn pro Aktie dividiert.
Sie müssen also sowohl den aktuellen Kurs als auch den Reingewinn je Aktie im Auge behalten. Liegt der Kurs einer Aktie aktuell zum Beispiel bei 30 Euro und das Unternehmen macht drei Euro Gewinn pro Aktie, beläuft sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf 10,0. Kostet eine Aktie eines Unternehmens demgegenüber 50 Euro, der Reingewinn einer Aktie beträgt aber nur 2,75 Euro, ergibt sich ein KGV von 18,2 (aufgerundet). Grundsätzlich gilt hier: Je niedriger das Kurs-Gewinn-Verhältnis ausfällt, desto besser ist das für die zukünftige Performance bzw. Entwicklung der Aktie.
Die im Beispiel errechneten Werte von 10,0 und 18,2 geben darüber Auskunft, wie viele Jahre ein Unternehmen benötigt, bis es den Wert seiner Aktien letztlich als Gewinn erwirtschaften kann. Anders ausgedrückt gibt die Kennziffer an, mit welchem Vielfachen (auf den Jahresgewinn bezogen) ein Unternehmen an der Börse bewertet wird. Das Beispiel macht daher deutlich, dass die preisliche Bewertung einer Aktie nur wenig über den tatsächlichen Stellenwert aussagt. Vielmehr steht hier die Ertragsstärke eines Unternehmens im Fokus.
Ein ertragsstarkes Unternehmen, das Ihnen regelmäßig eine Dividende zahlt, ist daher immer höher einzustufen als eine preislich weitaus höher bewertete Aktie, bei der das herausgebende Unternehmen aber keine oder nur minimale Gewinne erzielt. Je niedriger das Kurs-Gewinn-Verhältnis also ausfällt, umso schneller erwirtschaftet ein Unternehmen den Betrag, den Sie momentan für die entsprechende Aktie ausgeben müssten. Aber Vorsicht - der absolute Wert eines KGV verfügt genau genommen noch nicht über die nötige Aussagekraft, um bewerten zu können, ob eine Akte günstig oder teuer ist.
Das wird bei einem Blick auf den Aktienmarkt deutlich. Die Aktie des Online-Händlers Amazon weist ein dreistelliges Kurs-Gewinn-Verhältnis auf. Das macht das Anlegen in diese Aktie eigentlich eher unattraktiv. Dennoch legt die hochpreisige Aktie an der Börse phasenweise weiter zu. Eine ganz andere Situation offenbart sich beispielsweise bei den Aktien des Automobilherstellers Daimler. Das KGV liegt hier meistens im einstelligen Bereich und nur selten im zweistelligen Bereich. Trotzdem handelt es sich aber nicht automatisch um eine besonders günstige Aktie, auch wenn das durch das Kurs-Gewinn-Verhältnis suggeriert wird.
Bei der Beurteilung des KGV müssen Sie nämlich noch folgende Aspekte einbeziehen:
Branchen lieben Traditionen. Schauen Sie sich zum Beispiel einmal genau den Automobilsektor an. Sie werden sehen, dass in dieser Branche ein eher niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis traditionellen Charakter aufweist. Das hängt nicht zuletzt mit den Erfahrungen und der Erwartung zusammen. Denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass Unternehmen aus der Automobilbranche stark auf konjunkturelle Veränderungen reagieren. Flacht etwa die Konjunktur ab, sinken die Gewinne in dieser Branche mitunter extrem deutlich. Befindet sich die Konjunktur dagegen im Aufwärtstrend, steigen in der Regel auch prompt die Gewinne.
Ähnlich sensibel reagieren übrigens die Banken. In beiden Branchen kann es in konjunkturellen Abwärtsphasen zu hohen Verlusten kommen. Ein Kurs-Gewinn-Verhältnis mit einem Wert von etwa 15 deutet hier daher schon auf teure Aktien hin. Zum Vergleich: Unternehmen aus Wachstumsbranchen mit einem KGV von 15 sind Top-Positionen. Denn die Anleger billigen diesen Unternehmen in den kommenden Jahren massive Zuwächse zu. Selbst Kurs-Gewinn-Verhältnisse von 40 oder 50 sind in Wachstumsbranchen kein Ausschlusskriterium für einen Einstieg. Auch dies bezahlen viele Anleger ohne Bauchschmerzen.
Wie viel und ob überhaupt ein Unternehmen eine Dividende an die Anleger ausschüttet, wird vom KGV nicht berücksichtigt bzw. gemessen. Für viele Anleger ist aber gerade dieser Aspekt von Bedeutung, da für sie nicht ausschließlich der erhoffte Kursgewinn die wesentliche Kaufentscheidung darstellt. Vielmehr achten Sie darauf, wie hoch die jeweilige Dividenden-Rendite ist. Es gibt nämlich Aktien, die eine Dividenden-Rendite bieten, die deutlich höher als die von Anleihen ist. Ein hohes KGV spielt bei der Entscheidungsfindung keine Rolle, da eine attraktive Dividendenausschüttung das Anlageziel ist.
Als Messgröße funktioniert das KGV nicht zu jeder Zeit. Während das Kurs-Gewinn-Verhältnis in einer Wachstumsphase als Indikator für den tatsächlichen Wert einer Achse funktioniert, ist es während einer Rezessionsphase nicht wirklich zu gebrauchen. Dies liegt am Momentum. Rezessionsphasen gehen bei vielen Firmen einher mit Umsatzrückgängen, Gewinneinbrüchen oder sogar Verlusten. Es entsteht dann eine Schieflage, wenn etwa der Aktienkurs um 30 Prozent fällt, die Gewinne aber um 60 bis 70 Prozent fallen. Dadurch verschiebt sich das KGV in erheblichem Maße nach oben. Werden Verluste ausgewiesen, können Sie das KGV überhaupt nicht mehr nutzen. Mit negativen Zahlen kann das Kurs-Gewinn-Verhältnis nämlich nicht berechnet werden.
Die Einschätzung von Branchen und Unternehmen auf die Zukunft bezogen wird immer schwieriger. Die Ansichten und Meinungen der Anleger verändern sich daher im mittel- bis langfristigen Rahmen stark. Branchen, die heute noch als zukunftsorientiert und wachstumsträchtig angesehen werden, sinken später in der Gunst der Anleger. Dafür gelten dann wieder neue bzw. andere Branchen als Hoffnungsträger für die Zukunft. Ein typisches Beispiel für eine solche Entwicklung stellt etwa die Solarbranche dar. Lange Jahre galt diese Branche als ungemein zukunftsträchtig.
Daher hielten auch hohe Kurs-Gewinn-Verhältnisse die Anleger nicht davon ab, Aktien von Unternehmen aus der Solarbranche zu kaufen. Inzwischen sieht es ganz anders aus. Kaum jemand hat diesbezüglich damit gerechnet, wie viele Anbieter auf den Markt drängen, wie groß dadurch die Konkurrenz ist und was für ein Preisdruck auf den Unternehmen lastet. Aufgrund dieser Entwicklung, den Gewinneinbrüchen und der daraus resultierenden geschäftlichen Gesamtsituation hat das KGV hier wieder an Bedeutung zugelegt. Die teilweise immer noch hohen Werte schrecken die Anleger mittlerweile von einem Aktienkauf ab.
Ein KGV lässt sich auch für Aktienindizes nutzen. Viele Anleger verwenden das KGV als Entscheidungsgrundlage, ob sie in einen bestimmten Markt einsteigen und investieren sollten. Die Berechnung wird dabei in der Form abgeändert, dass die Gewinne der im Index aufgeführten Aktien ihrer Gewichtung im Index entsprechend aufsummiert und anschließend durch die Gesamtzahl der Aktien geteilt werden. Beim Dow Jones oder DAX müssen Sie also die jeweilige Summe durch 30 teilen.
Es empfiehlt sich, dass Sie für eine Investment-Entscheidung hier einen langfristigen historischen Vergleich heranziehen. Oder Sie vergleichen das aktuelle Kurs-Gewinn-Verhältnis mit dem KGV eines anderen Index. Wenn Sie dabei die Entwicklung des KGV näher betrachten, fällt auf, dass der DAX gerade in den 1980er und 1990er Jahren im Gegensatz zu heute deutlich höher lag. Die aktuellen Zahlen im Rahmen eines deutlich niedrigeren DAX lassen demgegenüber erst einmal darauf schließen, dass die gelisteten Aktien vergleichsweise günstig gekauft werden können. Der Dow Jones kommt hier auf ein weitaus höheres KGV. Zudem ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis gegenüber dem DAX in den vergangenen Jahren deutlich stärker gestiegen.
Nicht wenige Anleger haben diesbezüglich darauf spekuliert, dass der DAX nachzieht. Das ist aber nicht passiert - und dies liegt an wirtschaftspolitischen respektive an psychologischen Komponenten. Denn die Investoren bewerten die US-Wirtschaft im Hinblick auf das Wachstum deutlich besser als die Konjunktur in Deutschland. Aufgrund dieser Erwartungshaltung bezahlen Anleger lieber höhere Preise für US-Aktien als günstigere Preise für Aktien aus dem DAX. Etwa von Anfang 1980 bis Ende der 1990er Jahre sah dies noch ganz anders aus. Damals glaubten die Investoren eher an ein gutes Wirtschaftswachstum in Deutschland oder auch in anderen europäischen Ländern. Dementsprechend hoch lag dann auch das KGV des DAX.
Sollten sich die Prognosen und Erwartungen eines vergleichsweise stärkeren Wachstums der US-Wirtschaft letztlich doch nicht erfüllen, profitiert davon aber nicht unbedingt der DAX. Auch wenn dies auf den ersten Blick zwar eine logische Folge wäre, kann sich dies schließlich als Trugschluss erweisen. Vielmehr erscheint es realistischer, dass das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Dow Jones spürbar fällt, da viele Anleger aus den plötzlich und unerwartet teuer erscheinenden Aktien im US-Markt wieder aussteigen. Solche Szenarien machen deutlich, dass ein KGV immer auch von der Stimmung und den psychologischen Befindlichkeiten der Investoren und Anleger abhängig ist.
Die Aussagekraft des KGV kann zusätzlich noch durch kleine Tricksereien der Unternehmen beeinflusst werden. Entsprechende Tricks sind gerade bei der Angabe von Gewinnen möglich. Bei Ihrer Analyse der vorliegenden Einstiegsmöglichkeiten sollten Sie diesbezüglich immer ganz genau recherchieren, welche Berechnungsgrundlage für die Ermittlung des Gewinns verwendet worden ist. Einige Unternehmen geben die Gewinne nämlich vor Abzug von Zinsen und Steuern an (engl. EBIT; steht für Earnings Before Interest and Taxes). Dementsprechend höher fallen natürlich die Gewinne aus, was dann wiederum Einfluss auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis nimmt.
Außerdem sollten Sie darauf achten, welcher Zeitpunkt bei der Berechnung als Grundlage dient. Erfahrungsgemäß wird nicht immer der für das aktuelle Jahr erwartete Gewinn dargestellt, sondern der Gewinn des Vorjahres. Die Vorjahres-Zahlen sind dabei zwar gesichert und jederzeit nachweisbar, aber eben nicht aktuell. Hat sich etwa die Markt- und Auftragslage verschlechtert oder ist der Umsatz aus anderen Gründen zurückgegangen, wird dies überhaupt nicht abgebildet. Aussagekräftigere Zahlen bieten da die Gewinnangaben des laufenden Geschäftsjahres. Aber auch diese sind – abhängig vom Zeitpunkt der Veröffentlichung – mitunter mit Vorsicht zu genießen. Je früher die Zahlen in einem Geschäftsjahr auf den Tisch gelegt werden, desto vager sind sie. Im Grunde genommen handelt es sich in vielen Fällen lediglich um eine ungefähre Schätzung.
Etliche Anleger verlassen sich gerne auf die Meinungen der Analysten. Dies ist garantiert kein falscher Ansatz, trotzdem sollten Sie bedenken, dass die Gewinnerwartungen gerne einmal von den Analysten übertrieben werden, wenn es an der Börse gut läuft. Um sich selbst ein Bild über die Gewinne über einen längeren Zeitraum zu machen, sollten Sie sich die jüngere Unternehmensgeschichte anschauen. Diese gewährleistet Ihnen einen Überblick, ob die letzten Jahre geschäftlich erfolgreich waren. Behalten Sie dabei immer den Mittelwert im Auge. Einzelne Ausreißer nach oben oder nach unten sollten Sie nicht zu stark gewichten und vor allem nicht als Entscheidungsgrundlage nutzen.
Eine Unternehmens- bzw. Aktienperformance wird auch gerne mithilfe des Kurs-Buchwert-Verhältnisses errechnet. Um erst einmal einen entsprechenden Buchwert zu erhalten, müssen Sie die jeweiligen Sach- und Finanzanlagen sowie alle immateriellen Vermögensgegenstände zusammenrechnen. Dadurch kommen Sie auf einen bestimmten Wert. Das KBV wird jetzt ermittelt, indem Sie das Eigenkapital, also den Buchwert, durch die Marktkapitalisierung dividieren. Der dadurch ermittelte Wert spiegelt wider, was ein Unternehmen wert wäre, wenn es zur Liquidation kommt.
Dieses Verhältnis drückt also aus, wie viel Sie als Anleger mit einem Euro Ihrer Investmentsumme am Eigenkapital erwerben. Ein niedriges KBV verspricht in der Regel baldige Gewinne. Daher sollten Anleger auch bei einem niedrigen Kurs-Buchwert-Verhältnis einsteigen. Soweit jedenfalls die Theorie. Pauschalisierungen dieser Art offenbaren allerdings auch Risikopotenzial. Denn ein niedriger Wert kann durchaus auf die Gefahr einer baldigen Insolvenz hindeuten. Hier sollten Sie immer im Hinterkopf behalten, dass neben den aktuellen Aktienkursen meistens die Ergebnisse aus dem letzten Geschäftsbericht genutzt werden. Dadurch fällt das Kurs-Buchwert-Verhältnis entsprechend niedrig aus. Wer hier einsteigt, kann hohe Verluste erleiden.
Um eine Aktie auch dann zu bewerten, wenn das Unternehmen Verluste oder nur minimale Gewinne einfährt, können Sie das Kurs-Umsatz-Verhältnis errechnen. Gemessen wird hierbei der Umsatz im Verhältnis zum Unternehmenswert. Analysten schätzen das KUV als zuverlässige Kennzahl, da der Umsatz immer eine feste Größe darstellt. Demgegenüber lässt sich der Gewinn durch Abschreibungen und eine spezifische Rechnungslegung leicht manipulieren. Das ergibt erst einmal Sinn, Gewinne beim KUV nicht einzubeziehen. Gerade Start-ups oder auch Internetunternehmen fahren in der Regel erst nach einer bestimmten Zeit Gewinne ein. Dafür fallen sie aber durch stetige Umsatzsteigerungen auf. Facebook und Twitter stellen hierfür typische Beispiele dar.
Aber die große Stärke dieser Kennziffer, die Unabhängigkeit vom Gewinn, ist gleichzeitig auch die größte Schwäche. Denn wenn Sie als Anleger eine Rendite erwirtschaften möchten, muss das Unternehmen letztlich auch Gewinne erzielen. Ob das Unternehmen tatsächlich gewinnbringend arbeitet, wird vom KUV aber ignoriert. Daher sagt ein niedriges Kurs-Umsatz-Verhältnis in keiner Weise etwas darüber aus, ob das Unternehmen dauerhaft rentabel arbeitet und wirtschaftet. Darum stellt das KUV immer nur dann ein gutes Instrument zur Aktienauswahl dar, wenn das jeweilige Unternehmen (noch) keine Gewinne einfährt oder wenn es schwierig ist, den Gewinn zu schätzen.